Stressphase 4 -
von 21 bis 28
Alle 13 Sekunden passiert im Bundesgebiet ein Arbeitsunfall, alle zwei Sekunden mit tödlichem Ausgang. Jährlich müssen aus gesundheitlichen Gründen rund 300 000 Arbeitnehmer vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Was ist an dieser Arbeitswelt so ungesund, was lässt die Unfallziffern hochschnellen?
Untersuchungen haben ergeben, dass jeder dritte Arbeitsausfall die Folge von Stress-Erkrankungen ist. Ein teurer Stress. Unfallversicherungen zahlen jährlich mehr als 4 Millionen Euro. Mindestens die gleiche Kostenhöhe entfiel auf die Betriebe durch Produktionsausfall und auf die Gemeinschaft durch Steuerausfall. Für die jährlichen Unfallkosten könnten für 60 000 Arbeitnehmer Komfort-Bungalows errichtet werden.
Fragt man die Betroffenen, dann klagen sie ziemlich allgemein über ihre „schwere“ Arbeit. Forscht man weiter, so wird rasch deutlich, dass es sich in den seltensten Fällen um schwere körperliche Arbeit handelt. Fast immer sind seelische Momente im Spiel. Fehler, die dieser Entwicklung Tür und Tor öffnen, werden schon bei der Berufswahl gemacht.
Wohl wissend, dass ein Drittel des Tages mit Erwerbstätigkeit zugebracht wird, dass dem geschützten Schulbetrieb, den unbeschwerten Jugendjahren der aufreibende Alltag der Arbeitswelt folgt, wird der künftige Beruf oft in einer gleichgültigen Weise ausgewählt, als handele es sich um einen kurzfristigen Job.
In vielen Fällen wählen junge Menschen heute ihr Auto viel sorgfältiger und nach viel mehr Überlegungen aus als ihren Beruf.
Die Liebe zur Arbeit
kommt nicht von selbst
Dabei sollte man wissen: Hier gilt nicht, was gelegentlich bei so genannten Vernunftsehen zutrifft: dass nämlich mit den Jahren des Zusammenlebens auch die Liebe kommt. Das geht im Berufsleben schon deshalb nur in den seltensten Fällen, weil die „Auserwählte“, die Arbeit, sich nicht zu gleichen Teilen dem „Erwähler“ anpassen kann. Es muss zum Scheitern, zur Scheidung kommen – oder zum Stress.
Arbeit, die eigentlich nicht zu einem passt, die man nur mit halbem Herzen verrichtet, erzeugt wohl immer Stress. Und das sieht dann so aus: Da die ungeliebte Arbeit oft unter einer gewissen inneren Abschaltung (ins Allerheiligste hat sie keinen Zutritt) erledigt wird, bleiben organisatorische Systeme und zusammenhängende Arbeitsabläufe nicht im Gedächtnis haften.
Fall eins: Die arbeit wird planlos und fehlerhaft verrichtet. Wir haben es hier mit einem Arbeitstyp zu tun, der zwar redlich bemüht ist, sein Pensum zu erledigen, in Wirklichkeit aber nie fertig wird. Er greift mal hierhin, mal dorthin, vergeudet viel Zeit mit dem Umherirren, weil ihm sein Gedächtnis nicht sagt, was er tat und noch tun wollte. Er wird vorzeitig müde, obwohl seine Arbeit nicht erledigt ist, das Erledigte ihn aber auch nicht befriedigt. Mit einem unbefriedigenden Gefühl geht er abends ins Bett, mit dem Gefühl des „Nie-Fertig-Werdens“ wacht er auf.
Tag für Tag werden ähnliche Mechanismen in Gang gesetzt, als habe sich der Betroffene gerade in den Finger geschnitten, als sei er soeben von der Treppe gestürzt: Alarmbereitschaft durch Vergrößerung der Nebennierenrinde (zwecks erhöhter Ausschüttung z. B. des Stress-Hormons Adrenalin), Verengung der Thymusdrüse und Bildung von Geschwülsten im Mageninneren. Diese Keulenschläge des Organismus auf einen unsichtbaren Feind müssen nach einer gewissen Zeit zur Selbstzerstörung führen.
Eifrige, Genaue und
Märtyrer der Arbeit
Fall zwei: Da gibt es auch die krankhaft Genauen. Sie feilen an jeder Arbeitsaufgabe wie an einer Doktorarbeit, ob es nun nötig ist oder nicht. Solche Pedanten sind außerordentlich ängstlich3e Naturen, die im allgemeinen Kritik gegenüber sehr empfindlich sind und entsprechend vorbeugen. Sie besitzen aber auch nicht die Fähigkeit, größere Zusammenhänge zu sehen, ja, ihre Einstellung zur Arbeit verbietet es ihnen sogar. Das Resultat: eine schlechte Arbeitskapazität. Bei schnellerer Gangart werden diese Menschen überanstrengt. Ändern sich Arbeitsmethoden, Aufgaben oder findet ein Wechsel in der ihre Arbeit berührenden Kollegenschaft statt, so sind sie hoffnungslos entwurzelt.
Fall drei: Schließlich gibt es noch die Märtyrer der Arbeit. Sie führen in der Mehrzahl ein schlechtes Familienleben oder gar keines, haben Angst vor Sonn- und Feiertagen und nehmen sich noch Arbeit mit nach Hause, um bloß nicht zur Ruhe zu kommen. Ihre Arbeit ist dennoch geprägt durch Freudlosigkeit und Zwang. Wie sollte eine Arbeit auch Freude machen, wenn das Schaffen nicht durch einen ausgleichenden Feierabend belohnt wird, wenn die Arbeit ohne Rhythmus und Ziel geschieht?
Oft soll Arbeit nur eine
Lücke schließen
Arbeit um der Arbeit Willen ist nicht menschenwürdig, befriedigt nicht im Innersten, muss zu seelischen Reaktionen führen. Eine solche Arbeitsweise ist durch selbst auf erlegten Zwang geprägt. Die Arbeit soll in den meisten Fällen eine Lücke schließen, die ein Schicksalsschlag, eine lieblose Vergangenheit aufgerissen hat. Wir haben es bei diesem Arbeitstyp beileibe nicht mit einem Einzelfall zu tun. In vielen Fällen steigern sich diese Arbeitswütigen in etwas hinein, woraus es ihrer Meinung nach kein Entrinnen gibt.
Wer sich in der Arbeitswelt in solchen oder ähnlichen Problemen verstrickt, ist meistens auch in einer unausgeglichenen Familie zu Hause. Der Griff zur Zigarette und zur Flasche soll in dieser Situation über vieles hinweghelfen.
Die Liste solcher psychosozialer Fälle im Arbeitsleben könnte beliebig erweitert werden. Der amerikanische Stressforscher Dr. Burton L. Zohmann stellte 26 Arten von Stress zusammen, die nachweislich zu Herz- und Kreislauferkrankungen führen. 20 davon betreffen den Familien-, Wohn- und Berufsbereich.
Die Arbeitswelt verlangt Beherrschung, Disziplin, ständig gleich bleibende Leistung. Bei diesem Dauerstress werden leicht die warnenden Signale des Körpers überhört. Anzeichen wie Müdigkeit, Schmerz, von allem aber der spontane Drang, sich in eine „schützende Höhle“ zurückzuziehen, werden unterdrückt.
Der arbeitende Mensch verbraucht sich unter der Last der Verantwortung, an der Frustration, weil Wünsche nicht erfüllt, Ziele nicht erreicht werden. Er läuft ständig auf Hochtouren und entleert seine Energiespeicher, weil die biologische Uhr – etwa während der Nachtarbeit – nicht beachtet wird. Er zehrt sich auf unter dem Einfluss von Lärm an seinem Arbeitsplatz. Es ist ein Irrtum zu glauben, der Organismus könne sich an einer Dauerbeschallung gewöhnen. Selbst wenn man den Lärm bewusst nicht mehr wahrnimmt, Blutdruck und Pulsfrequenz steigen immer unter Lärm.
Der arbeitende Mensch verbraucht sich schließlich unter der Hetzarbeit, unter der ständigen Anspannung ohne gleichwertige Entspannung. Er schadet sich im Ehrgeiz um Karriere und Anerkennung. Extreme Abneigung (falsch gewählter Beruf) wie auch totale Bindung an den Arbeitsplatz schaden dem seelischen Gleichgewicht. Die Quittung sind schließlich organische Erkrankungen.
Die Stressphase 5 schließt sich an - von 28 bis 35: